Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA): Wann ist sie nach Art. 35 DSGVO Pflicht?
DSFA Pflicht: Vollständiger Leitfaden zur Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO. ✓ Prüfschema ✓ 9-Kriterien-Test ✓ Schritt-für-Schritt-Anleitung
1. Was ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA)?
Die Datenschutz-Folgenabschätzung (englisch: Data Protection Impact Assessment, DPIA) stellt gemäß Art. 35 DSGVO ein präventives Instrument des Risikomanagements im europäischen Datenschutzrecht dar. Sie dient der systematischen und strukturierten Bewertung von Datenverarbeitungen, die voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen mit sich bringen.
Zielsetzung der DSFA
Die DSFA verfolgt mehrere datenschutzrechtliche Kernziele:
- Risikoidentifikation: Frühzeitige Erkennung potenzieller Datenschutzrisiken vor Beginn der Verarbeitung
- Risikominimierung: Entwicklung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen (TOM) zur Risikoreduktion
- Compliance-Nachweis: Dokumentation der DSGVO-konformen Gestaltung von Verarbeitungsprozessen
- Transparenz: Nachvollziehbare Darstellung der Risikoabwägung für Aufsichtsbehörden und Betroffene
- Privacy by Design: Implementierung des Grundsatzes der datenschutzfreundlichen Technikgestaltung nach Art. 25 DSGVO
DSFA als rechtliche Verpflichtung
Die Durchführung einer DSFA ist keine freiwillige Maßnahme, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine absolute rechtliche Verpflichtung des Verantwortlichen.
2. Rechtliche Grundlage: Art. 35 DSGVO im Überblick
Art. 35 Abs. 1 DSGVO: Grundtatbestand
Der zentrale Normtext lautet:
"Hat eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Natur, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge, so führt der Verantwortliche vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für den Schutz personenbezogener Daten durch."
Tatbestandsmerkmale im Detail
Die DSFA-Pflicht setzt folgende Voraussetzungen voraus:
- Datenverarbeitung: Es muss eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO vorliegen
- Hohes Risiko: Die Verarbeitung muss voraussichtlich ein hohes Risiko für Rechte und Freiheiten Betroffener zur Folge haben
- Prognoseentscheidung: Die Risikobewertung erfolgt ex ante, vor Beginn der Verarbeitung
- Verantwortlichkeit: Der Verantwortliche nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist Adressat der Pflicht
Zeitpunkt der Durchführung
Die DSFA ist vor Beginn der Verarbeitung durchzuführen (Art. 35 Abs. 1 DSGVO, Art. 35 Abs. 10 DSGVO). Eine nachträgliche DSFA erfüllt die gesetzliche Anforderung nicht und stellt einen Compliance-Verstoß dar.
3. Wann ist eine DSFA Pflicht? Die wichtigsten Kriterien
Die Verpflichtung zur Durchführung einer DSFA besteht in folgenden Konstellationen:
Hierarchie der Prüfkriterien
Stufe 1: Blacklist-Verarbeitung → DSFA zwingend erforderlich
↓
Stufe 2: Art. 35 Abs. 3 DSGVO-Regelbeispiel erfüllt → DSFA erforderlich
↓
Stufe 3: Mindestens 2 von 9 WP-248-Kriterien erfüllt → DSFA regelmäßig erforderlich
↓
Stufe 4: Voraussichtlich hohes Risiko → Einzelfallprüfung erforderlich
Kernindikatoren für eine DSFA-Pflicht
Sie müssen eine DSFA durchführen, wenn:
- Die Verarbeitung auf der Blacklist der zuständigen Aufsichtsbehörde steht
- Ein Regelbeispiel des Art. 35 Abs. 3 DSGVO vorliegt
- Mindestens zwei der neun WP-248-Kriterien erfüllt sind
- Eine neue Technologie mit unabsehbaren Datenschutzfolgen eingesetzt wird
- Besondere Kategorien von Daten (Art. 9 DSGVO) umfangreich verarbeitet werden
- Eine systematische Überwachung öffentlicher Bereiche erfolgt
- Automatisierte Einzelentscheidungen mit Rechtswirkung getroffen werden
4. Hohes Risiko nach DSGVO: Definition und Risikofaktoren
Was bedeutet "voraussichtlich hohes Risiko"?
Das hohe Risiko im Sinne des Art. 35 Abs. 1 DSGVO bezeichnet die erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts und die besondere Schwere eines Schadens für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen.
Risikobewertungsfaktoren
Bei der Risikoanalyse sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:
1. Schwere der Beeinträchtigung
- Diskriminierung
- Identitätsdiebstahl oder -betrug
- Finanzielle Verluste
- Rufschädigung
- Verlust der Vertraulichkeit bei besonders geschützten Daten
- Unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung
- Erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile
- Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten
2. Eintrittswahrscheinlichkeit
- Technische Sicherheitsmaßnahmen
- Zugangskontrollen
- Verschlüsselung
- Organisatorische Vorkehrungen
- Historische Vorfälle
3. Anzahl betroffener Personen
- Einzelpersonen vs. Massenverarbeitung
- Betroffene vulnerable Gruppen (Kinder, Patienten, Arbeitnehmer)
- Geografische Reichweite der Verarbeitung
4. Art und Sensibilität der Daten
- Besondere Kategorien nach Art. 9 DSGVO
- Strafrechtliche Daten nach Art. 10 DSGVO
- Standort- und Bewegungsdaten
- Finanz- und Bonitätsdaten
- Kommunikationsinhalte
Risikoabstufungen
Die DSGVO unterscheidet drei Risikostufen:
- Kein/geringes Risiko: Keine besonderen Maßnahmen erforderlich
- Risiko: Angemessene technische und organisatorische Maßnahmen nach Art. 32 DSGVO
- Hohes Risiko: DSFA nach Art. 35 DSGVO zwingend erforderlich
5. Die 3 obligatorischen DSFA-Fälle nach Art. 35 Abs. 3 DSGVO
Art. 35 Abs. 3 DSGVO nennt drei Regelbeispiele, bei denen eine DSFA zwingend durchzuführen ist:
5.1 Systematische und umfassende Bewertung persönlicher Aspekte (Art. 35 Abs. 3 lit. a DSGVO)
Tatbestandsmerkmale:
- Automatisierte Verarbeitung einschließlich Profiling nach Art. 4 Nr. 4 DSGVO
- Systematischer Charakter: Organisiert, methodisch, planmäßig durchgeführt
- Umfassende Bewertung: Erfassung mehrerer Lebensbereiche oder Persönlichkeitsaspekte
- Grundlage für Entscheidungen: Mit Rechtswirkung oder ähnlich erheblicher Beeinträchtigung
- Bewertung persönlicher Aspekte: Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort, Ortswechsel
Praxisrelevante Anwendungsfälle:
- Kreditscoring: Automatisierte Kreditwürdigkeitsprüfung mit Ablehnung oder Zinsanpassung
- Versicherungs-Scoring: Risikobewertung zur Tarifierung oder Vertragsablehnung
- Bewerberauswahl-Systeme: KI-basierte Vorauswahl von Kandidaten
- Personalisierte Preisgestaltung: Dynamic Pricing basierend auf Nutzerprofilen
- Mitarbeiterüberwachung: Umfassende Performance-Analysen mit Konsequenzen
- Verhaltensbasierte Werbung: Profiling für zielgerichtete Werbemaßnahmen mit erheblicher Wirkung
Keine DSFA erforderlich bei:
- Einfacher Kundensegmentierung ohne automatisierte Einzelentscheidung
- Manueller Bewertung ohne systematisches Profiling
- Geringfügigen Entscheidungen ohne rechtliche oder erhebliche Wirkung
5.2 Umfangreiche Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten (Art. 35 Abs. 3 lit. b DSGVO)
Besondere Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO:
- Gesundheitsdaten: Medizinische Diagnosen, Behandlungsdaten, genetische Informationen, Patientenakten
- Genetische Daten: DNA-Analysen, Genomsequenzierung, Vaterschaftstests
- Biometrische Daten zur Identifizierung: Fingerabdrücke, Gesichtserkennung, Iris-Scans, Stimmprofile
- Ethnische Herkunft: Rassische oder ethnische Zugehörigkeit
- Politische Meinungen: Parteizugehörigkeit, politische Überzeugungen
- Religiöse Überzeugungen: Religionszugehörigkeit, weltanschauliche Bekenntnisse
- Gewerkschaftszugehörigkeit: Mitgliedschaft in Gewerkschaften
- Sexualleben/sexuelle Orientierung: Sexuelle Präferenzen, Intimsphäre
Umfänglichkeit der Verarbeitung:
Der Begriff "umfangreich" ist nicht numerisch definiert. Maßgebliche Bewertungskriterien:
- Anzahl betroffener Personen: Ab ca. 1.000 Personen wird regelmäßig von umfangreicher Verarbeitung ausgegangen
- Datenmenge: Volumen und Detaillierungsgrad der verarbeiteten Daten
- Zeitraum: Dauer und Kontinuität der Verarbeitung
- Geografische Ausdehnung: Regional, national, international
- Auswirkungen: Tragweite für die Betroffenen
Praxisbeispiele mit DSFA-Pflicht:
- Krankenhausinformationssysteme: Elektronische Patientenakten mit tausenden Patienten
- Gesundheits-Apps: Tracking von Gesundheitsdaten einer großen Nutzerbasis
- Genetische Forschungsdatenbanken: Biobanken mit umfangreichen genetischen Proben
- Betriebliche Gesundheitsförderung: Systematische Erfassung von Gesundheitsdaten der Belegschaft
- Biometrische Zugangssysteme: Unternehmensweite Implementierung von Fingerprint-Scannern
- Religionsgemeinschaften: Umfassende Mitgliederverwaltung mit religiösen Daten
Keine DSFA erforderlich bei:
- Verarbeitung durch einzelne Ärzte oder Therapeuten (nicht umfangreich)
- Kleine Vereine ohne systematische Datenverarbeitung
- Punktuelle, nicht-systematische Erhebungen
5.3 Systematische umfangreiche Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche (Art. 35 Abs. 3 lit. c DSGVO)
Tatbestandsmerkmale:
- Systematisch: Planmäßig, organisiert, kontinuierlich, nicht ad hoc
- Umfangreich: Große Fläche, lange Zeiträume, viele Personen, intensiv
- Überwachung: Beobachtung, Aufzeichnung, Analyse von Verhalten
- Öffentlich zugängliche Bereiche: Räume, die für die Allgemeinheit oder einen größeren Personenkreis zugänglich sind
Praxisrelevante Szenarien:
- Videoüberwachung von Verkehrsknotenpunkten: Bahnhöfe, Flughäfen, U-Bahn-Stationen
- Innenstadtüberwachung: Flächendeckende Kameraüberwachung von Fußgängerzonen
- Einkaufszentren: Umfassende Videoüberwachung mit Verhaltensanalyse
- Gesichtserkennung im öffentlichen Raum: Automatisierte Identifikation von Personen
- Smart City-Anwendungen: Tracking von Bewegungsmustern in Städten
- Drohnenüberwachung: Systematische Luftbildüberwachung öffentlicher Bereiche
- WLAN/Bluetooth-Tracking: Verfolgung von Endgeräten zur Bewegungsprofilbildung
Abgrenzung: Keine DSFA erforderlich bei:
- Einzelne Kameras mit begrenztem Erfassungsbereich (z.B. Hauseingang)
- Kurzfristige, anlassbezogene Überwachung (z.B. Veranstaltungssicherheit)
- Nicht-öffentliche Bereiche (ausschließlich betriebsinterne Bereiche)
Wichtig: Die reine Anzahl von Kameras allein ist nicht entscheidend. Maßgeblich ist das Gesamtbild aus Systematik, Umfang, Technologie und Auswirkungen auf die Betroffenen.
6. DSFA-Blacklist: Verbindliche Verarbeitungsliste der Aufsichtsbehörden
Rechtsgrundlage und Bindungswirkung
Nach Art. 35 Abs. 4 DSGVO erstellen die Aufsichtsbehörden Listen von Verarbeitungsvorgängen, für die eine DSFA durchzuführen ist (sogenannte "Blacklists" oder "Muss-Listen"). Diese Listen haben für Verantwortliche in der jeweiligen Jurisdiktion verbindlichen Charakter.
DSFA-Liste der Datenschutzkonferenz (DSK) für Deutschland
Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) hat folgende Verarbeitungskategorien als DSFA-pflichtig definiert:
1. Biometrische Verfahren
DSFA erforderlich bei:
- Verarbeitung biometrischer Daten zur eindeutigen Identifizierung natürlicher Personen nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO
- Gesichtserkennung zur Authentifizierung in Bereichen mit erhöhtem Risiko
- Fingerabdruck-Erfassung zur Zutrittskontrolle in größerem Umfang
- Verhaltensbiometrie (Gangerkennung, Tippverhalten)
Ausnahme: Einfache Authentifizierung auf persönlichen Endgeräten (z.B. Smartphone-Entsperrung) ohne zentrale Speicherung
2. Scoring und Profiling
DSFA erforderlich bei:
- Scoring zur Bewertung der Kreditwürdigkeit mit automatisierten Entscheidungen über Vertragsabschluss
- Profiling mit hohem Risiko für die wirtschaftliche Situation, Gesundheit oder persönliche Vorlieben Betroffener
- Umfassende Verhaltensanalyse mit weitreichenden Konsequenzen
- Scoring im Beschäftigungskontext mit Auswirkungen auf Arbeitsverhältnis
3. Genetische Analysen
DSFA erforderlich bei:
- Umfangreiche genetische Untersuchungen außerhalb des reinen Arzt-Patienten-Verhältnisses
- Genetische Forschungsprojekte mit großer Teilnehmerzahl
- Genotypisierung für nicht-medizinische Zwecke
4. Systematische Ortung und Standortdaten
DSFA erforderlich bei:
- Systematische Ortung von Mitarbeitern (z.B. GPS-Tracking von Außendienstfahrzeugen mit Verhaltensauswertung)
- Tracking von Kunden in großem Umfang (z.B. App-basierte Bewegungsprofile)
- Indoor-Navigation mit personenbezogenem Tracking
- Geofencing mit automatisierten Konsequenzen
5. Verarbeitung bei besonderer Schutzbedürftigkeit
DSFA erforderlich bei Datenverarbeitung folgender Personengruppen:
- Kinder: Umfangreiche Verarbeitung von Daten Minderjähriger (z.B. Bildungsplattformen, Online-Angebote)
- Patienten: Verarbeitung von Gesundheitsdaten über die ärztliche Behandlung hinaus
- Beschäftigte: Umfassende Mitarbeiterüberwachung, Performance-Analysen mit weitreichenden Folgen
- Schuldner/Sozialleistungsempfänger: Datenverarbeitung in Abhängigkeitsverhältnissen
- Asylsuchende/Flüchtlinge: Verarbeitung bei vulnerablen Gruppen
6. Künstliche Intelligenz und innovative Technologien
DSFA erforderlich bei:
- Einsatz von KI-Systemen mit erheblichen Auswirkungen auf Betroffene
- Machine Learning mit automatisierten Entscheidungen
- Deep Learning für personenbezogene Analysen
- Predictive Analytics mit Verhaltensvorhersagen
- Internet of Things (IoT) mit umfangreicher Datenerhebung
- Blockchain-Anwendungen mit personenbezogenen Daten
7. Datenabgleich und Zusammenführung
DSFA erforderlich bei:
- Umfangreicher Abgleich von Datensätzen aus verschiedenen Quellen
- Erstellung umfassender Profile durch Datenzusammenführung
- Cross-Device-Tracking über mehrere Endgeräte
- Integration von Online- und Offline-Daten
8. Umfassende Persönlichkeitsprofile
DSFA erforderlich bei:
- Erstellung detaillierter Persönlichkeitsprofile über verschiedene Lebensbereiche
- Psychometrische Analysen mit weitreichenden Konsequenzen
- Social Media Monitoring mit Persönlichkeitsauswertung
Aktualität und Anwendbarkeit
Wichtig: Sie sollten stets die aktuelle Fassung der DSFA-Liste Ihrer zuständigen Aufsichtsbehörde konsultieren, da diese regelmäßig aktualisiert werden. Die Listen der Bundesländer können teilweise voneinander abweichen.
Abruf der aktuellen Listen:
- Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI): www.bfdi.bund.de
- Landesdatenschutzbehörden: Jeweilige Website der zuständigen Behörde
7. 9-Kriterien-Test nach WP 248: Wann 2 Kriterien eine DSFA auslösen
Hintergrund: Leitlinien der Artikel-29-Datenschutzgruppe
Die ehemalige Artikel-29-Datenschutzgruppe (jetzt: Europäischer Datenschutzausschuss, EDSA) hat in den Leitlinien zur Datenschutz-Folgenabschätzung (WP 248 rev.01) neun Kriterien entwickelt.
Faustregel: Eine DSFA ist regelmäßig erforderlich, wenn mindestens zwei dieser neun Kriterien erfüllt sind.
Die 9 Kriterien im Detail
Kriterium 1: Bewertung oder Scoring
Beschreibung:
Automatisierte Verarbeitung zur Bewertung oder Vorhersage persönlicher Aspekte wie Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel.
Beispiele:
- Bonitätsprüfung mit Score-Wert
- Verhaltensanalyse von Arbeitnehmern
- Gesundheitsrisiko-Assessment
- Predictive Policing
Techniken:
- Profiling
- Scoring-Algorithmen
- Verhaltensvorhersagen
- Risikoklassifizierungen
Kriterium 2: Automatisierte Entscheidungsfindung mit Rechtswirkung
Beschreibung:
Verarbeitung, die der automatisierten Entscheidungsfindung gemäß Art. 22 Abs. 1 und Abs. 4 DSGVO dient und Rechtswirkung gegenüber Betroffenen entfaltet oder diese in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt.
Beispiele:
- Automatische Kreditablehnung
- Vollautomatisierte Bewerbungsablehnung
- Automatische Vertragskündigung
- Dynamische Preisfestsetzung mit erheblicher Wirkung
Rechtswirkung umfasst:
- Vertragliche Konsequenzen
- Sozialleistungsentscheidungen
- Bildungschancen
- Arbeitsrechtliche Maßnahmen
Kriterium 3: Systematische Überwachung
Beschreibung:
Verarbeitung zur Beobachtung, Überwachung oder Kontrolle von Betroffenen, einschließlich durch kontinuierliche Erfassung von Daten über Netzwerke oder systematische Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche.
Beispiele:
- Videoüberwachung mit Aufzeichnung
- Tracking von Internetaktivitäten
- Standortverfolgung via GPS
- E-Mail-Monitoring am Arbeitsplatz
- Smart-Home-Überwachung
Systematisch bedeutet:
- Planmäßig, organisiert
- Kontinuierlich oder regelmäßig
- Teil eines Überwachungskonzepts
Kriterium 4: Sensible Daten oder Daten höchst persönlicher Natur
Beschreibung:
Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten gemäß Art. 9 DSGVO oder von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Art. 10 DSGVO.
Besondere Kategorien (Art. 9 DSGVO):
- Gesundheitsdaten
- Genetische Daten
- Biometrische Daten zur Identifizierung
- Daten über rassische/ethnische Herkunft
- Politische Meinungen
- Religiöse Überzeugungen
- Gewerkschaftszugehörigkeit
- Sexualleben/sexuelle Orientierung
Strafrechtliche Daten (Art. 10 DSGVO):
- Verurteilungen
- Straftaten
- Ermittlungsverfahren
Daten höchst persönlicher Natur:
- Kommunikationsinhalte (E-Mails, Chats)
- Standort- und Bewegungsdaten
- Finanzielle Verhältnisse
- Private Korrespondenz
Kriterium 5: Umfangreiche Verarbeitung
Beschreibung:
Verarbeitung personenbezogener Daten in großem Umfang. Die DSGVO definiert "umfangreich" nicht abschließend.
Bewertungsfaktoren:
- Anzahl betroffener Personen:
- Absolut (z.B. >10.000 Personen)
- Relativ (z.B. % der Bevölkerung)
- Datenmenge:
- Volumen der Daten
- Anzahl verschiedener Datenarten
- Dauer der Tätigkeit:
- Kontinuierliche Verarbeitung
- Langfristige Speicherung
- Geografische Ausdehnung:
- Regional
- National
- International/EU-weit
Beispiele:
- Krankenhaussystem mit 50.000 Patienten pro Jahr
- Social-Media-Plattform mit Millionen Nutzern
- Nationale Kundendatenbank eines Konzerns
- Cityweites Smart-City-Projekt
Kriterium 6: Abgleichen oder Zusammenführen von Datensätzen
Beschreibung:
Verarbeitung, bei der zwei oder mehr Datensätze, die zu unterschiedlichen Zwecken oder von verschiedenen Verantwortlichen verarbeitet wurden, in einer Weise zusammengeführt werden, die die ursprünglichen Erwartungen der betroffenen Person überschreitet.
Beispiele:
- Zusammenführung von Online- und Offline-Kaufdaten
- Verknüpfung von Gesundheits- und Versicherungsdaten
- Cross-Device-Tracking über Smartphone, Tablet, PC
- Integration von Social-Media-Profilen mit Unternehmensdatenbanken
- Abgleich von Mitarbeiterdaten verschiedener Systeme
Risiko:
Betroffene können nicht erwarten, dass ihre Daten aus verschiedenen Kontexten zusammengeführt werden, was zu umfassenderen Profilen führt.
Kriterium 7: Daten schutzbedürftiger Betroffener
Beschreibung:
Verarbeitung von Daten schutzbedürftiger natürlicher Personen, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden oder bei denen ein Ungleichgewicht zwischen ihnen und dem Verantwortlichen besteht.
Schutzbedürftige Gruppen:
- Kinder und Jugendliche: Minderjährige unter 18 Jahren
- Patienten: Im Verhältnis zum Arzt/Krankenhaus
- Arbeitnehmer: Im Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber
- Asylsuchende/Flüchtlinge: Vulnerable Situation
- Pflegebedürftige: Ältere oder behinderte Personen in Betreuung
- Studenten: Im Verhältnis zur Hochschule
- Schuldner: Gegenüber Gläubigern
- Sozialleistungsempfänger: Abhängigkeit von Behörden
Besonderheit:
Diese Personen können ihre Rechte oft nicht in gleichem Maße wahrnehmen oder sind stärker von Entscheidungen betroffen.
Kriterium 8: Innovative Nutzung oder Anwendung neuer technologischer oder organisatorischer Lösungen
Beschreibung:
Einsatz von Technologien oder Methoden, die neu sind oder deren Auswirkungen auf den Datenschutz noch nicht vollständig absehbar sind.
Beispiele neuer Technologien:
- Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning
- Biometrische Erkennungssysteme
- Internet of Things (IoT)
- Blockchain und Distributed Ledger
- Quantencomputing
- Augmented/Virtual Reality mit Datenerfassung
- Brain-Computer-Interfaces
- Autonome Fahrzeuge mit Sensorik
- 5G-basierte Echtzeitüberwachung
Innovative organisatorische Lösungen:
- Neue Geschäftsmodelle datengetriebener Dienste
- Kombinationen bekannter Technologien in neuartiger Weise
- Pilotprojekte mit unerprobten Konzepten
Kriterium 9: Verhinderung der Ausübung von Rechten oder Nutzung von Diensten
Beschreibung:
Verarbeitung, die Betroffene daran hindert, ein Recht auszuüben oder einen Dienst oder Vertrag in Anspruch zu nehmen.
Beispiele:
- Identitätsprüfung, die bestimmte Personen systematisch ausschließt
- Banken, die Konten aufgrund von Scoring verweigern
- Versicherungen, die Verträge aufgrund von Gesundheitsdaten ablehnen
- Zugangskontrollen, die den Zutritt zu notwendigen Diensten verwehren
- Diskriminierende Algorithmen bei Jobvermittlung
- Verweigerung von Sozialleistungen aufgrund automatisierter Prüfung
Besonderheit:
Diese Verarbeitungen können zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen und beeinträchtigen fundamentale Rechte der Betroffenen.
Praktische Anwendung des 2-Kriterien-Tests
Prüfschema:
- Liste alle 9 Kriterien auf
- Prüfe für Ihre geplante Verarbeitung, welche Kriterien zutreffen
- Dokumentiere die Prüfung
- Sind ≥2 Kriterien erfüllt → DSFA durchführen
- Bei Zweifeln → DSFA durchführen (Sicherheitsprinzip)
Beispielfall: E-Learning-Plattform für Schulen
✓ Kriterium 4: Daten von Kindern (schutzbedürftig)
✓ Kriterium 5: Umfangreiche Verarbeitung (tausende Schüler)
✗ Kriterium 1: Kein Scoring
✗ Kriterium 2: Keine automatisierten Entscheidungen mit Rechtswirkung
✗ Kriterium 3: Keine systematische Überwachung
✗ Kriterium 6: Kein Datenabgleich
✗ Kriterium 7: Bereits in Kriterium 4 erfasst
✗ Kriterium 8: Keine neue Technologie
✗ Kriterium 9: Keine Rechtsverhinderung
Ergebnis: 2 Kriterien erfüllt → DSFA erforderlich
8. DSFA-Prüfschema: Schritt-für-Schritt-Anleitung
Nutze dieses strukturierte Prüfschema, um systematisch zu ermitteln, ob eine DSFA-Pflicht besteht:
Schritt 1: Vorprüfung
Fragestellungen:
- Liegt eine Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 4 Nr. 1, 2 DSGVO vor?
- Bist Sie als Verantwortlicher nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO der richtige Adressat der Pflicht?
- Findet die DSGVO Anwendung (räumlicher und sachlicher Anwendungsbereich)?
Ergebnis:
- Nein: Keine DSFA erforderlich
- Ja: Weiter zu Schritt 2
Schritt 2: Blacklist-Prüfung
Fragestellung:
- Ist die geplante Verarbeitung auf der DSFA-Liste (Blacklist) der zuständigen Aufsichtsbehörde aufgeführt?
Vorgehen:
- Bestimme die zuständige Aufsichtsbehörde (Bund oder Land)
- Rufe die aktuelle Blacklist ab
- Gleiche Ihre Verarbeitung mit den Listenpunkten ab
Ergebnis:
- Ja: DSFA ist zwingend erforderlich → Zu Schritt 7
- Nein: Weiter zu Schritt 3
Schritt 3: Whitelist-Prüfung
Fragestellung:
- Ist die Verarbeitung auf einer Whitelist (Positivliste) der Aufsichtsbehörde nach Art. 35 Abs. 5 DSGVO aufgeführt?
Ergebnis:
- Ja: Keine DSFA erforderlich (dokumentieren!)
- Nein oder keine Whitelist vorhanden: Weiter zu Schritt 4
Schritt 4: Prüfung der Regelbeispiele nach Art. 35 Abs. 3 DSGVO
Fragestellungen:
4.1 Art. 35 Abs. 3 lit. a DSGVO:
Erfolgt eine systematische und umfassende Bewertung persönlicher Aspekte mittels automatisierter Verarbeitung (Profiling), die Grundlage für Entscheidungen mit Rechtswirkung oder ähnlich erheblicher Beeinträchtigung ist?
4.2 Art. 35 Abs. 3 lit. b DSGVO:
Werden besondere Kategorien von Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO oder Daten über strafrechtliche Verurteilungen nach Art. 10 DSGVO umfangreich verarbeitet?
4.3 Art. 35 Abs. 3 lit. c DSGVO:
Erfolgt eine systematische umfangreiche Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche?
Ergebnis:
- Mindestens ein Regelbeispiel erfüllt: DSFA ist erforderlich → Zu Schritt 7
- Kein Regelbeispiel erfüllt: Weiter zu Schritt 5
Schritt 5: 9-Kriterien-Test nach WP 248
Prüfe folgende Kriterien:
☐ Bewertung oder Scoring
☐ Automatisierte Entscheidungen mit Rechtswirkung
☐ Systematische Überwachung
☐ Sensible Daten oder Daten höchst persönlicher Natur
☐ Umfangreiche Verarbeitung
☐ Abgleichen oder Zusammenführen von Datensätzen
☐ Daten schutzbedürftiger Betroffener
☐ Innovative Nutzung oder neue Technologien
☐ Verhinderung der Rechtsausübung
Dokumentiere für jedes Kriterium:
- Zutreffend: Ja/Nein
- Begründung
Schritt 6: Gesamtrisikobewertung
Fragestellung:
Ist aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zu erwarten?
Risikofaktoren:
- Schwere der potenziellen Beeinträchtigung
- Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens
- Anzahl betroffener Personen
- Sensibilität der Daten
- Innovative Technologien
- Kontrollierbarkeit durch Betroffene
Bewertungsmethode:
- Identifiziere potenzielle Schäden (Diskriminierung, Identitätsdiebstahl, finanzielle Verluste, Rufschädigung)
- Bewerte Eintrittswahrscheinlichkeit (gering, mittel, hoch)
- Bewerte Schadenschwere (gering, mittel, hoch, sehr hoch)
- Kombiniere beide Faktoren zur Risikoeinschätzung
Risikomatrix:
Eintrittswahrscheinlichkeit
Gering Mittel Hoch
Schwere Sehr hoch ↑ ↑ ↑
Hoch → ↑ ↑
Mittel → → ↑
Gering → → →
↑ = Hohes Risiko (DSFA erforderlich)
→ = Moderates/geringes Risiko (keine DSFA)
Ergebnis:
- Hohes Risiko: DSFA durchführen → Zu Schritt 7
- Kein hohes Risiko: Keine DSFA erforderlich → Dokumentation
Schritt 7: Ausnahmeprüfung
Vor Durchführung der DSFA prüfen:
Art. 35 Abs. 10 DSGVO:
Hat die Verarbeitung eine Rechtsgrundlage im Unionsrecht oder im Recht des Mitgliedstaats, die den konkreten Verarbeitungsvorgang regelt, und wurde bereits im Rahmen der allgemeinen Folgenabschätzung bei Erlass dieser Rechtsvorschrift eine DSFA durchgeführt?
Ergebnis:
- Ja: Keine DSFA erforderlich (außer erforderlich nach Mitgliedstaatenrecht)
- Nein: DSFA durchführen
Schritt 8: Dokumentation
Dokumentiere unabhängig vom Ergebnis:
- Durchgeführte Prüfschritte
- Bewertungsergebnisse je Kriterium
- Getroffene Entscheidung (DSFA ja/nein)
- Begründung der Entscheidung
- Datum der Prüfung
- Verantwortliche Person
Aufbewahrung:
Als Teil der Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO
9. Ausnahmen: Wann keine DSFA erforderlich ist
Auch bei Vorliegen der grundsätzlichen Voraussetzungen kann eine DSFA ausnahmsweise entfallen:
9.1 Gesetzliche Rechtsgrundlage mit abgeschlossener DSFA (Art. 35 Abs. 10 DSGVO)
Voraussetzungen:
- Spezifische Rechtsgrundlage: Die Verarbeitung stützt sich auf eine Rechtsvorschrift im Unionsrecht oder im Recht des Mitgliedstaats
- Regelung des konkreten Verarbeitungsvorgangs: Die Rechtsvorschrift muss die spezifische Verarbeitung regeln, nicht nur allgemein ermächtigen
- Legislative DSFA: Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde bereits eine DSFA durchgeführt
- Keine anderslautende mitgliedstaatliche Regelung: Der Mitgliedstaat kann vorsehen, dass dennoch eine DSFA durchzuführen ist
Beispiele:
- Volkszählung aufgrund statistischer Gesetze mit legislativer Folgenabschätzung
- Melderechtliche Datenverarbeitung nach Meldegesetzen
- Steuerrechtliche Datenverarbeitung nach Abgabenordnung
- Sozialrechtliche Verarbeitungen nach SGB
Wichtig:
- Die reine Existenz einer Rechtsgrundlage (z.B. Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO) reicht nicht aus
- Die Rechtsvorschrift muss den spezifischen Verarbeitungsvorgang detailliert regeln
- Im Zweifelsfall ist eine DSFA durchzuführen
9.2 Whitelist der Aufsichtsbehörde (Art. 35 Abs. 5 DSGVO)
Rechtsgrundlage:
Die zuständige Aufsichtsbehörde kann eine Liste von Verarbeitungsvorgängen erstellen und veröffentlichen, für die keine DSFA erforderlich ist (Whitelist oder Positivliste).
Status in Deutschland:
In Deutschland haben bisher nur wenige Aufsichtsbehörden Whitelists veröffentlicht. Prüfe die Website Ihrer zuständigen Aufsichtsbehörde.
Mögliche Inhalte:
- Standardisierte Verarbeitungen mit geringem Risiko
- Etablierte Praktiken mit nachweislich niedrigem Risikoprofil
- Verarbeitungen mit bereits geklärten Risiken
9.3 Ähnliche Verarbeitung mit bestehender DSFA (Art. 35 Abs. 1 Satz 2 DSGVO)
Voraussetzung:
Die Art, der Umfang, die Umstände und der Zweck der Verarbeitung sind vergleichbar mit einer Verarbeitung, für die bereits eine DSFA durchgeführt wurde.
Vorgehen:
- Prüfe, ob eine ähnliche Verarbeitung bereits DSFA-bewertet wurde
- Analysiere Unterschiede zur neuen Verarbeitung
- Bewerte, ob die bestehende DSFA ausreichend ist
- Dokumentiere die Vergleichbarkeit
Beispiel:
- Einführung eines Zeiterfassungssystems an einem zweiten Standort mit identischer Technik und Zwecksetzung
- Erweiterung eines CRM-Systems um eine weitere Kundengruppe mit gleichen Verarbeitungsprozessen
Wichtig:
Bei relevanten Änderungen (z.B. andere Technologie, zusätzliche Daten, neuer Zweck) ist eine neue oder aktualisierte DSFA erforderlich.
9.4 Kein hohes Risiko (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO)
Grundsatz:
Wenn die Verarbeitung voraussichtlich kein hohes Risiko zur Folge hat, besteht keine DSFA-Pflicht.
Restriktive Auslegung:
Die Grenze ist restriktiv auszulegen. Im Zweifelsfall sollte eine DSFA durchgeführt werden.
Beispiele ohne hohes Risiko:
- Einfache Kundenverwaltung mit Stammdaten
- Klassische Lohn- und Gehaltsabrechnung
- Website-Kontaktformular
- Newsletter-Versand mit Einwilligung
- Einzelkamera zur Hauseingangsüberwachung
Abgrenzung:
Sobald zusätzliche Faktoren hinzukommen (umfangreiche Verarbeitung, sensible Daten, neue Technologien), kann sich das Risikoprofil ändern.
10. DSFA richtig durchführen: Inhalt und Mindestanforderungen
10.1 Gesetzliche Mindestanforderungen nach Art. 35 Abs. 7 DSGVO
Eine rechtskonforme DSFA muss mindestens folgende vier Elemente enthalten:
Element 1: Systematische Beschreibung der geplanten Verarbeitungsvorgänge
Inhalte:
a) Zwecke der Verarbeitung
- Primäre Zwecke (Hauptzweck der Datenverarbeitung)
- Sekundäre Zwecke (weitere Nutzungen)
- Zweckbindung und Zweckänderungen
b) Kategorien personenbezogener Daten
- Stammdaten (Name, Adresse, Geburtsdatum)
- Kontaktdaten
- Vertragsdaten
- Nutzungsdaten
- Standortdaten
- Besondere Kategorien nach Art. 9 DSGVO
- Strafrechtliche Daten nach Art. 10 DSGVO
c) Datenquellen
- Direkte Erhebung beim Betroffenen
- Erhebung bei Dritten
- Öffentlich zugängliche Quellen
- Sensordaten
d) Betroffene Personengruppen
- Kunden, Interessenten
- Beschäftigte
- Bewerber
- Patienten
- Website-Besucher
- Kinder
e) Empfänger der Daten
- Interne Empfänger (Abteilungen, Mitarbeiter)
- Externe Empfänger (Dienstleister, Partner)
- Übermittlungen in Drittländer
- Kategorien von Empfängern
f) Speicherdauer
- Konkrete Fristen
- Kriterien zur Festlegung der Dauer
- Löschkonzept
g) Technische und organisatorische Umsetzung
- IT-Systeme und Infrastruktur
- Datenflüsse
- Schnittstellen
- Berechtigungskonzept
- Sicherheitsarchitektur
h) Rechtsgrundlagen
- Art. 6 Abs. 1 DSGVO (z.B. lit. a Einwilligung, lit. b Vertrag, lit. f berechtigtes Interesse)
- Art. 9 Abs. 2 DSGVO bei besonderen Kategorien
- Nationale Rechtsgrundlagen
Element 2: Bewertung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verarbeitungsvorgänge
a) Erforderlichkeitsprüfung
- Ist die Verarbeitung zur Zweckerreichung erforderlich?
- Gibt es mildere, gleich geeignete Mittel?
- Kann der Zweck ohne oder mit weniger Datenverarbeitung erreicht werden?
b) Verhältnismäßigkeitsprüfung
- Stehen Zweck und Mittel in angemessenem Verhältnis?
- Sind die Eingriffe in Rechte der Betroffenen verhältnismäßig?
- Überwiegt der Nutzen die Risiken?
c) Prüfung von Alternativen
- Datenvermeidung
- Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO
- Pseudonymisierung
- Anonymisierung
- Alternative Technologien
d) Interessenabwägung (bei Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO)
- Legitimes Interesse des Verantwortlichen
- Interessen und Grundrechte der Betroffenen
- Abwägungsergebnis
Element 3: Bewertung der Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen
a) Risikoidentifikation
Systematische Analyse potenzieller Schäden:
- Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten
- Diskriminierung: Benachteiligung aufgrund von Dateneigenschaften
- Identitätsdiebstahl/-betrug: Missbrauch von Identitätsdaten
- Finanzielle Verluste: Direkte oder indirekte wirtschaftliche Schäden
- Rufschädigung: Reputationsverluste durch Datenmissbrauch
- Verlust der Vertraulichkeit: Unbefugter Zugriff auf sensible Daten
- Unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung: Re-Identifikation pseudonymisierter Daten
- Wirtschaftliche/gesellschaftliche Nachteile: Ausgrenzung, Benachteiligung
- Beeinträchtigung der Gesundheit: Physische oder psychische Schäden
- Verlust der Freiheitsrechte: Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit
b) Risikobewertung: Eintrittswahrscheinlichkeit
Bewerte die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts:
- Sehr gering: Schaden ist theoretisch möglich, aber höchst unwahrscheinlich
- Gering: Schaden könnte unter außergewöhnlichen Umständen eintreten
- Mittel: Schaden könnte unter bestimmten Umständen realistisch eintreten
- Hoch: Schaden ist unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich
- Sehr hoch: Schaden ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten
Einflussfaktoren:
- Qualität der technischen Sicherheitsmaßnahmen
- Zuverlässigkeit organisatorischer Prozesse
- Sorgfalt bei Dienstleisterauswahl
- Erfahrungen mit Sicherheitsvorfällen
- Aktuelle Bedrohungslage (Cyberangriffe)
c) Risikobewertung: Schwere der Beeinträchtigung
Bewerte die Schadenschwere für Betroffene:
- Vernachlässigbar: Minimale Unannehmlichkeiten ohne nennenswerte Folgen
- Begrenzt: Kurzfristige Unannehmlichkeiten, leicht behebbar
- Erheblich: Deutliche Beeinträchtigungen mit mittelfristigen Folgen
- Schwerwiegend: Erhebliche und langfristige Beeinträchtigungen
- Katastrophal: Irreversible, existenzgefährdende Schäden
Einflussfaktoren:
- Sensibilität der Daten
- Anzahl betroffener Personen
- Schutzbedürftigkeit der Betroffenen
- Ausmaß der Beeinträchtigung
- Reversibilität der Schäden
d) Gesamtrisikobewertung
Kombiniere Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenschwere:
| Schwere / Wahrscheinlichkeit | Sehr gering | Gering | Mittel | Hoch | Sehr hoch |
|---|---|---|---|---|---|
| Katastrophal | Mittel | Hoch | Sehr hoch | Sehr hoch | Sehr hoch |
| Schwerwiegend | Gering | Mittel | Hoch | Sehr hoch | Sehr hoch |
| Erheblich | Gering | Mittel | Mittel | Hoch | Sehr hoch |
| Begrenzt | Sehr gering | Gering | Mittel | Mittel | Hoch |
| Vernachlässigbar | Sehr gering | Sehr gering | Gering | Gering | Mittel |
Bewertung:
- Sehr gering / Gering: Akzeptables Restrisiko, Standardmaßnahmen ausreichend
- Mittel: Risikominimierung durch zusätzliche Maßnahmen erforderlich
- Hoch / Sehr hoch: Erhebliches Risiko, umfassende Abhilfemaßnahmen zwingend notwendig
Element 4: Geplante Abhilfemaßnahmen zur Bewältigung der Risiken
a) Technische Maßnahmen nach Art. 32 DSGVO
- Verschlüsselung:
- Transport-Verschlüsselung (TLS/SSL)
- Speicher-Verschlüsselung (AES-256)
- Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
- Vollständige Festplattenverschlüsselung
- Pseudonymisierung:
- Token-basierte Pseudonymisierung
- Anonymisierung wo möglich
- Trennung identifizierender Daten
- Zugangs- und Zugriffskontrolle:
- Benutzerauthentifizierung (Multi-Faktor)
- Rollenbasierte Berechtigungen (RBAC)
- Protokollierung von Zugriffen (Logging)
- Regelmäßige Rechteverwaltung
- Verfügbarkeit und Belastbarkeit:
- Backup-Konzept (3-2-1-Regel)
- Notfallpläne
- Redundanzen
- Disaster Recovery
- Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung:
- Penetrationstests
- Sicherheitsaudits
- Schwachstellenscans
- Incident Response Plan
b) Organisatorische Maßnahmen
- Datenschutzmanagement:
- Datenschutzbeauftragter (DSB)
- Datenschutz-Management-System
- Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (VVT)
- Datenschutz-Richtlinien
- Schulungen und Sensibilisierung:
- Regelmäßige Mitarbeiterschulungen
- Awareness-Kampagnen
- Verpflichtung auf Vertraulichkeit
- Vertragsgestaltung:
- Auftragsverarbeitungsverträge (AVV) nach Art. 28 DSGVO
- Standardvertragsklauseln bei Drittlandtransfers
- Geheimhaltungsvereinbarungen (NDA)
- Prozesse und Verfahren:
- Betroffenenrechte-Management
- Löschkonzepte
- Incident-Response-Prozesse
- Datenschutzvorfallmeldung nach Art. 33/34 DSGVO
c) Garantien und Sicherheitsvorkehrungen
- Zertifizierungen:
- ISO/IEC 27001 (Informationssicherheit)
- ISO/IEC 27701 (Privacy Information Management)
- Datenschutz-Gütesiegel
- Verhaltenskodizes:
- Branchenspezifische Kodizes nach Art. 40 DSGVO
- Corporate Compliance Programme
- Privacy by Design und by Default (Art. 25 DSGVO):
- Datenschutzfreundliche Voreinstellungen
- Datenschutz als integraler Bestandteil der Systemarchitektur
- Minimierung personenbezogener Daten
d) Restrisikobewertung
Nach Implementierung der Abhilfemaßnahmen:
- Neubewertung der Risiken
- Feststellung des verbleibenden Restrisikos
- Bewertung der Akzeptabilität des Restrisikos
Entscheidung:
- Restrisiko akzeptabel (unter "hoch"): Verarbeitung kann beginnen
- Restrisiko bleibt hoch: Konsultation der Aufsichtsbehörde nach Art. 36 DSGVO erforderlich
10.2 Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten (Art. 35 Abs. 2 DSGVO)
Verpflichtung:
Der Verantwortliche muss den Rat des Datenschutzbeauftragten (DSB) einholen, sofern ein DSB benannt ist.
Form der Einbeziehung:
- Frühzeitige Information über die geplante Verarbeitung
- Übergabe eines DSFA-Entwurfs zur Stellungnahme
- Berücksichtigung der Empfehlungen des DSB
- Dokumentation der Stellungnahme
Rolle des DSB:
- Fachliche Beratung
- Überwachung der Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben
- Keine Entscheidungsbefugnis (diese verbleibt beim Verantwortlichen)
Dokumentation:
Die Einbeziehung und die Stellungnahme des DSB müssen Teil der DSFA-Dokumentation sein.
10.3 Anhörung der betroffenen Personen (Art. 35 Abs. 9 DSGVO)
Rechtliche Vorgabe:
"Falls dies angemessen ist", holt der Verantwortliche den Standpunkt der betroffenen Personen oder ihrer Vertreter zu der beabsichtigten Verarbeitung ein.
Ermessensentscheidung:
Die Anhörung ist keine absolute Pflicht, sondern liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Verantwortlichen. Sie ist insbesondere angemessen bei:
- Verarbeitungen mit erheblichen Auswirkungen auf Betroffene
- Kontroversen oder Sensibilitäten in Bezug auf die Verarbeitung
- Verarbeitungen schutzbedürftiger Personengruppen (Kinder, Patienten)
- Innovativen Technologien mit unklaren Auswirkungen
Formen der Anhörung:
- Online-Umfragen
- Fokusgruppen
- Öffentliche Konsultationen
- Einbeziehung von Interessenvertretungen (Betriebsrat, Patientenvertreter)
- Feedback-Möglichkeiten auf der Website
Dokumentation:
- Durchgeführte Anhörungsmaßnahmen
- Eingegangene Rückmeldungen
- Berücksichtigung in der DSFA
Wichtig: Die Anhörung dient der Transparenz und kann wertvolle Hinweise auf Risiken und Verbesserungsmöglichkeiten liefern.
10.4 Format und Dokumentation
Keine Formvorgaben:
Die DSGVO macht keine Vorgaben zur Form der DSFA (kein vorgeschriebenes Formular).
Empfohlene Struktur:
- Deckblatt:
- Titel der DSFA
- Verantwortlicher
- Erstellungsdatum
- Version
- Bearbeiter
- Zusammenfassung:
- Kurzbeschreibung der Verarbeitung
- Ergebnis der Risikobewertung
- Zentrale Abhilfemaßnahmen
- Hauptteil:
- Element 1: Beschreibung
- Element 2: Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit
- Element 3: Risikobewertung
- Element 4: Abhilfemaßnahmen
- Anhänge:
- Stellungnahme des DSB
- Ergebnisse der Betroffenenanhörung
- Technische Dokumentationen
- Verträge (AVV, etc.)
Umfang:
Abhängig von der Komplexität der Verarbeitung (typischerweise 10-50 Seiten)
Aufbewahrung:
Die DSFA ist als Teil der Rechenschaftspflicht (Art. 5 Abs. 2 DSGVO) dauerhaft aufzubewahren und bei Bedarf der Aufsichtsbehörde vorzulegen.
11. Konsultation der Aufsichtsbehörde nach Art. 36 DSGVO
Wann ist eine Konsultation erforderlich?
Nach Art. 36 Abs. 1 DSGVO konsultiert der Verantwortliche vor der Verarbeitung die Aufsichtsbehörde, wenn:
- Die DSFA ergibt, dass die Verarbeitung ein hohes Risiko zur Folge hätte, UND
- Der Verantwortliche keine Maßnahmen zur Eindämmung des Risikos ergreift oder ergreifen kann, die das Risiko unter die Schwelle "hohes Risiko" senken würden
Konkret: Bleibt nach Umsetzung aller möglichen und zumutbaren Abhilfemaßnahmen ein hohes Restrisiko bestehen, ist die Konsultation zwingend.
Verfahren der Konsultation
Schritt 1: Konsultationsersuchen einreichen
Der Verantwortliche wendet sich schriftlich an die zuständige Aufsichtsbehörde und übermittelt:
Erforderliche Unterlagen nach Art. 36 Abs. 3 DSGVO:
a) Gegebenenfalls die jeweiligen Zuständigkeiten des Verantwortlichen:
- Bei gemeinsamer Verantwortlichkeit: Darstellung der Verantwortlichkeiten
- Bei Auftragsverarbeitung: Beschreibung der Rollen
b) Zwecke und Mittel der beabsichtigten Verarbeitung:
- Detaillierte Beschreibung aus der DSFA
c) Maßnahmen und Garantien zum Schutz der Rechte und Freiheiten:
- Vollständige Darstellung der technischen und organisatorischen Maßnahmen
- Darstellung der Wirksamkeit der Maßnahmen
d) Gegebenenfalls Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten:
- Name, Kontaktdaten des DSB
e) Die Datenschutz-Folgenabschätzung:
- Vollständige DSFA im Originalformat
f) Alle sonstigen von der Aufsichtsbehörde angeforderten Informationen:
- Weitere Dokumente nach Anforderung
Schritt 2: Bearbeitungsfrist
Die Aufsichtsbehörde gibt dem Verantwortlichen innerhalb von acht Wochen nach Erhalt des Konsultationsersuchens schriftlich ihre Stellungnahme (Art. 36 Abs. 2 Satz 1 DSGVO).
Fristverlängerung:
Die Frist kann um sechs Wochen verlängert werden, wenn die Komplexität der beabsichtigten Verarbeitung dies erfordert. Der Verantwortliche ist innerhalb eines Monats nach Eingang des Ersuchens über die Fristverlängerung zu unterrichten (Art. 36 Abs. 2 Satz 2 DSGVO).
Schritt 3: Stellungnahme der Aufsichtsbehörde
Die Aufsichtsbehörde kann:
- Grünes Licht geben: Verarbeitung kann wie geplant durchgeführt werden
- Auflagen erteilen: Zusätzliche Maßnahmen erforderlich
- Nachbesserung fordern: DSFA oder Maßnahmen müssen überarbeitet werden
- Verarbeitung untersagen: Bei unvertretbarem Risiko (Art. 36 Abs. 5 DSGVO mit Verweis auf Art. 58 Abs. 2 DSGVO)
Schritt 4: Umsetzung
Der Verantwortliche muss die Vorgaben der Aufsichtsbehörde umsetzen, bevor die Verarbeitung beginnen darf.
Sonderfälle
Konsultation bei Gesetzesvorhaben (Art. 36 Abs. 4 DSGVO):
Mitgliedstaaten konsultieren die Aufsichtsbehörde bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen mit datenschutzrechtlichen Regelungen.
Verstoß gegen Art. 36 DSGVO:
Die Durchführung der Verarbeitung ohne erforderliche Konsultation kann nach Art. 83 Abs. 4 lit. a DSGVO mit Bußgeldern geahndet werden.
12. Bußgelder und Sanktionen bei fehlender DSFA
Bußgeldrahmen nach Art. 83 Abs. 4 lit. a DSGVO
Die Nichtdurchführung einer erforderlichen DSFA kann mit einem Bußgeld belegt werden:
Maximalbeträge:
- 10.000.000 Euro ODER
- 2% des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahres,
- je nachdem, welcher Betrag höher ist
Weitere sanktionierte Verstöße im Zusammenhang mit der DSFA:
- Nichtbeachtung der Anweisungen der Aufsichtsbehörde nach Art. 36 DSGVO
- Durchführung der Verarbeitung ohne vorherige Konsultation trotz hohen Risikos
Bemessung des Bußgeldes
Die Aufsichtsbehörden berücksichtigen bei der Bemessung nach Art. 83 Abs. 2 DSGVO folgende Faktoren:
Strafmildernde Faktoren:
- Kooperatives Verhalten
- Freiwillige Meldung des Verstoßes
- Geringe Anzahl betroffener Personen
- Geringe Schadenshöhe
- Erstmaliger Verstoß
- Nachholung der DSFA
- Umfassende Compliance-Maßnahmen
Strafverschärfende Faktoren:
- Vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln
- Große Anzahl betroffener Personen
- Hoher entstandener Schaden
- Wiederholte Verstöße
- Behinderung der Aufsichtsbehörde
- Besonders sensible Datenkategorien
- Vorherige Warnungen der Aufsichtsbehörde
Weitere Sanktionsmöglichkeiten nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO
Neben Bußgeldern können Aufsichtsbehörden:
- Verwarnungen aussprechen (lit. a)
- Verweise erteilen bei Verstößen (lit. b)
- Anordnung zur Nachholung der DSFA (lit. d)
- Vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots (lit. f)
- Anordnung zur Berichtigung, Löschung oder Einschränkung der Verarbeitung (lit. g)
- Aussetzung der Datenübermittlung an Empfänger in Drittländern (lit. j)
Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung
Beispiel 1: Hamburg, 2019
Bußgeld von 35.000 Euro gegen ein Immobilienunternehmen wegen fehlender DSFA für Videoüberwachung mit Gesichtserkennung.
Beispiel 2: Italien, 2021
Bußgeld von 8.500.000 Euro gegen ein Telekommunikationsunternehmen, unter anderem wegen fehlender DSFA für umfangreiches Profiling und Scoring.
Beispiel 3: Niederlande, 2020
Anordnung zur Nachholung einer DSFA und Bußgeld von 750.000 Euro gegen ein Unternehmen für umfangreiche Verarbeitung von Gesundheitsdaten ohne DSFA.
Zivilrechtliche Konsequenzen
Schadensersatzansprüche nach Art. 82 DSGVO:
Betroffene Personen können Schadensersatz geltend machen, wenn ihnen durch einen DSGVO-Verstoß (einschließlich fehlender DSFA) ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist.
Reputationsschäden:
- Verlust von Kundenvertrauen
- Negative Medienberichterstattung
- Wettbewerbsnachteile
- Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen
13. Best Practices und Empfehlungen für die Praxis
Proaktive Durchführung im Zweifelsfall
Empfehlung: Im Zweifelsfall sollten Sie eine DSFA durchführen, auch wenn die rechtliche Pflicht nicht eindeutig feststeht.
Vorteile:
- Rechtssicherheit und Nachweisbarkeit
- Identifikation und Minimierung von Risiken
- Dokumentation der Sorgfalt (Compliance-Nachweis)
- Frühzeitige Fehlererkennung spart Kosten
- Positive Signalwirkung gegenüber Aufsichtsbehörden
Abwägung:
Der Aufwand einer DSFA ist in der Regel geringer als das Risiko von Bußgeldern, Reputationsschäden oder Schadenersatzforderungen.
Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung
Verpflichtung nach Art. 35 Abs. 11 DSGVO:
Die DSFA ist zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren, wenn sich das Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen ändert.
Anlässe für eine Überprüfung:
- Technische Änderungen:
- Neue Software oder Systeme
- Systemupgrades mit neuen Funktionen
- Änderungen der IT-Infrastruktur
- Organisatorische Änderungen:
- Neue Dienstleister oder Partner
- Änderung der Verantwortlichkeiten
- Unternehmensumstrukturierungen
- Änderung der Verarbeitungszwecke:
- Zweckerweiterungen
- Neue Nutzungen der Daten
- Änderung der Datenkategorien:
- Verarbeitung zusätzlicher sensibler Daten
- Neue Datenquellen
- Sicherheitsvorfälle:
- Datenpannen
- Cyberangriffe
- Verlust von Datenträgern
- Rechtliche Änderungen:
- Neue Gesetze oder Verordnungen
- Gerichtsurteile oder Behördenentscheidungen
- Neue Erkenntnisse:
- Technologische Entwicklungen
- Erkenntnisse aus der Praxis
Empfohlene Überprüfungsintervalle:
- Mindestens alle 2-3 Jahre routinemäßig
- Ad hoc bei wesentlichen Änderungen
- Nach Sicherheitsvorfällen unverzüglich
Standardisierung für gleichartige Verarbeitungen
Möglichkeit nach Art. 35 Abs. 1 Satz 2 DSGVO:
Für gleichartige Verarbeitungsvorgänge mit ähnlichem Risikoprofil kann eine einzige DSFA erstellt werden.
Vorgehensweise:
- Erstelle eine Muster-DSFA:
- Beschreibe die typischen Merkmale der Verarbeitungsart
- Analysiere die allgemeinen Risiken
- Definiere Standardmaßnahmen
- Individualisierung:
- Passe die Muster-DSFA an spezifische Umstände an
- Dokumentiere Abweichungen
- Bewerte individuelle Risikofaktoren
- Dokumentation:
- Führe eine Liste der Verarbeitungen, auf die die standardisierte DSFA anwendbar ist
- Dokumentiere die Vergleichbarkeit
Beispiele für standardisierbare DSFAs:
- Videoüberwachung an verschiedenen Standorten
- CRM-Systeme in verschiedenen Abteilungen
- E-Mail-Marketing für verschiedene Kundengruppen
- Zeiterfassungssysteme in Filialen
Vorteil: Effizienzgewinn ohne Qualitätsverlust
Einbeziehung von Stakeholdern
Multidisziplinärer Ansatz:
Beziehe verschiedene Fachbereiche in die DSFA ein:
- IT/IT-Sicherheit: Technische Risikobewertung, Sicherheitsmaßnahmen
- Fachabteilungen: Zwecke, Prozesse, fachliche Anforderungen
- Recht/Compliance: Rechtliche Bewertung, Vertragsgestaltung
- Datenschutzbeauftragter: Fachliche Beratung, Überwachung
- Geschäftsführung: Strategische Entscheidungen, Ressourcenzuteilung
- Betriebsrat: Interessen der Beschäftigten (bei Arbeitnehmerdaten)
Vorteile:
- Umfassende Risikobewertung
- Verschiedene Perspektiven
- Höhere Akzeptanz
- Bessere Umsetzbarkeit
Nutzung von Tools und Vorlagen
Hilfsmittel:
- DSFA-Software: Strukturierte Erfassung und Auswertung
- Checklisten: Systematische Vollständigkeitsprüfung
- Vorlagen: Standardisierte Dokumentformate
- Risikokataloge: Vordefinierte Risikosammlungen
- Maßnahmenkataloge: Best-Practice-Maßnahmen
Empfohlene Quellen:
- Mustervorlagen der Aufsichtsbehörden
- Branchenverbände
- ISO/IEC-Standards (z.B. ISO/IEC 29134)
- CNIL PIA-Software (französische Aufsichtsbehörde)
Wichtig: Tools ersetzen nicht die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern unterstützen diese.
Dokumentation als Compliance-Nachweis
Grundsatz der Rechenschaftspflicht (Art. 5 Abs. 2 DSGVO):
Der Verantwortliche muss nachweisen können, dass die DSGVO eingehalten wird.
Was sollte dokumentiert werden:
- DSFA selbst: Vollständige Durchführung aller Elemente
- Prüfung der DSFA-Pflicht: Auch wenn keine DSFA durchgeführt wird
- Konsultation des DSB: Stellungnahmen, Empfehlungen
- Anhörung Betroffener: Durchführung, Ergebnisse, Berücksichtigung
- Aktualisierungen: Überprüfungen, Änderungen, Gründe
- Umsetzung von Maßnahmen: Implementierungsnachweise
- Konsultation der Aufsichtsbehörde: Korrespondenz, Auflagen, Umsetzung
Aufbewahrung:
Solange die Verarbeitung läuft und für Nachweiszwecke erforderlich (empfohlen: mindestens 3 Jahre nach Ende der Verarbeitung)
Privacy by Design Integration
Art. 25 DSGVO:
Datenschutz durch Technikgestaltung und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen.
Integration der DSFA:
Die DSFA sollte nicht nachträglich, sondern als integraler Bestandteil der Systemplanung durchgeführt werden.
Vorteile:
- Frühzeitige Risikoidentifikation
- Kostengünstigere Implementierung von Schutzmaßnahmen
- Vermeidung nachträglicher Anpassungen
- Datenschutzfreundlichere Lösungen
Best Practice:
- Beginne die DSFA in der Konzeptionsphase
- Überprüfe und aktualisiere während der Entwicklung
- Finalisiere vor dem Go-Live
- Pflege kontinuierlich im Betrieb
14. Häufig gestellte Fragen (FAQ)
F1: Muss ich für jede einzelne Verarbeitung eine eigene DSFA durchführen?
Antwort:
Nein, nicht zwingend. Nach Art. 35 Abs. 1 Satz 2 DSGVO kann eine einzige DSFA für mehrere ähnliche Verarbeitungsvorgänge mit vergleichbarem Risikoprofil erstellt werden. Beispiel: Videoüberwachung an verschiedenen Standorten mit gleicher Technologie und gleichem Zweck.
Voraussetzung: Die Verarbeitungen müssen hinsichtlich Art, Umfang, Umstände und Zwecke vergleichbar sein.
F2: Wie lange dauert die Erstellung einer DSFA?
Antwort:
Der Zeitaufwand variiert stark je nach:
- Komplexität der Verarbeitung
- Verfügbarkeit der Informationen
- Erfahrung des Erstellers
- Einbeziehung von Stakeholdern
Richtwerte:
- Einfache Verarbeitung (z.B. Standard-Videoüberwachung): 1-3 Arbeitstage
- Mittlere Komplexität (z.B. CRM-System): 3-7 Arbeitstage
- Hohe Komplexität (z.B. KI-basiertes Scoring): 10-20 Arbeitstage
Empfehlung: Plane ausreichend Zeit ein und beginne frühzeitig in der Projektplanung.
F3: Wer ist für die Durchführung der DSFA verantwortlich?
Antwort:
Der Verantwortliche im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO trägt die Verantwortung für die Durchführung der DSFA.
In der Praxis:
- Die Durchführung kann delegiert werden (z.B. an Datenschutzbeauftragte, Projektleiter, externe Berater)
- Die Verantwortung und Rechenschaftspflicht verbleibt beim Verantwortlichen (Geschäftsführung)
- Der Datenschutzbeauftragte muss einbezogen werden, trägt aber nicht die Verantwortung
F4: Was passiert, wenn ich eine DSFA nachträglich durchführe?
Antwort:
Eine nachträgliche DSFA erfüllt die gesetzliche Anforderung (Art. 35 Abs. 1: "vorab") nicht vollständig.
Konsequenzen:
- Verstoß gegen Art. 35 DSGVO
- Mögliches Bußgeld nach Art. 83 Abs. 4 lit. a DSGVO
- Dennoch: Nachholung ist besser als dauerhafte Unterlassung
Vorgehen:
- DSFA unverzüglich nachholen
- Risiken bewerten
- Erforderliche Maßnahmen umsetzen
- Ggf. Aufsichtsbehörde konsultieren
- Bei hohem Risiko: Verarbeitung ggf. aussetzen bis Maßnahmen greifen
Empfehlung: Melde die Nachholung nicht aktiv bei der Aufsichtsbehörde, außer es liegt ein hohes Restrisiko vor oder eine Konsultationspflicht besteht.
F5: Benötige ich eine DSFA für meine Unternehmenswebsite mit Kontaktformular?
Antwort:
In der Regel nein, wenn:
- Nur Stammdaten (Name, E-Mail, Nachricht) erhoben werden
- Keine umfangreiche Verarbeitung erfolgt
- Keine Profiling- oder Tracking-Technologien eingesetzt werden
- Keine sensiblen Daten verarbeitet werden
DSFA erforderlich bei:
- Umfangreiches Tracking und Profiling (z.B. umfassende Cookie-Nutzung mit Verhaltensanalyse)
- Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Quellen
- Automatisierte Entscheidungen basierend auf Website-Verhalten
- Innovative Technologien (z.B. KI-Chatbots mit umfassender Analyse)
F6: Gilt die DSFA-Pflicht auch für kleine Unternehmen und Vereine?
Antwort:
Ja, die DSFA-Pflicht gilt unabhängig von der Größe des Verantwortlichen. Es gibt keine Ausnahme für kleine Unternehmen, Vereine oder Selbstständige.
Entscheidend ist:
- Art, Umfang, Umstände und Zwecke der Verarbeitung
- Nicht die Größe des Unternehmens
Beispiel:
Ein kleiner Verein, der systematische Videoüberwachung seiner Vereinsräume mit Aufzeichnung betreibt, muss eine DSFA durchführen.
F7: Muss ich die DSFA der Aufsichtsbehörde vorlegen?
Antwort:
Nicht automatisch, aber in folgenden Fällen:
Vorlage erforderlich bei:
- Konsultationspflicht nach Art. 36 DSGVO (hohes Restrisiko)
- Auf Anforderung der Aufsichtsbehörde im Rahmen einer Prüfung (Art. 58 Abs. 1 lit. e DSGVO)
Keine proaktive Vorlage:
Bei erfolgreicher Risikominimierung ohne hohes Restrisiko müssen Sie die DSFA nicht von sich aus einreichen.
Empfehlung:
Halte die DSFA jederzeit abrufbereit für eventuelle Kontrollen.
F8: Kann ich eine DSFA auch für bestehende Verarbeitungen nachträglich durchführen?
Antwort:
Ja und dies ist sogar empfohlen, wenn:
- Die Verarbeitung vor Mai 2018 (Inkrafttreten der DSGVO) begonnen hat
- Zweifel bestehen, ob die Verarbeitung noch den Anforderungen entspricht
- Sich Risiken geändert haben
Vorgehen:
- Bewerte, ob die Verarbeitung DSFA-pflichtig ist/war
- Führe die DSFA nach
- Identifiziere Verbesserungspotenziale
- Setze erforderliche Maßnahmen um
Wichtig: Die DSGVO gilt seit Mai 2018, daher sollten relevante Verarbeitungen inzwischen eine DSFA haben.
F9: Wie unterscheidet sich die DSFA vom Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (VVT)?
Antwort:
| Aspekt | VVT (Art. 30 DSGVO) | DSFA (Art. 35 DSGVO) |
|---|---|---|
| Pflicht | Für (fast) alle Verantwortlichen | Nur bei voraussichtlich hohem Risiko |
| Zweck | Überblick über alle Verarbeitungen | Detaillierte Risikobewertung |
| Inhalt | Grundlegende Informationen | Umfassende Analyse mit Risiken und Maßnahmen |
| Umfang | Kurze Beschreibung (1-2 Seiten pro Verarbeitung) | Ausführliche Dokumentation (10-50+ Seiten) |
| Zeitpunkt | Laufend zu führen | Vor Beginn der Verarbeitung |
Verhältnis:
Das VVT dient als Ausgangspunkt zur Identifikation DSFA-pflichtiger Verarbeitungen. Die DSFA ist eine vertiefte Analyse ausgewählter Verarbeitungen.
F10: Was ist der Unterschied zwischen DSFA und TOM?
Antwort:
Technische und organisatorische Maßnahmen (TOM) nach Art. 32 DSGVO:
- Konkrete Schutzmaßnahmen zur Datensicherheit
- Verpflichtend für alle Verarbeitungen
- Fokus: Sicherheit der Verarbeitung
DSFA nach Art. 35 DSGVO:
- Umfassende Risikobewertung
- Nur bei voraussichtlich hohem Risiko
- Fokus: Risiken für Rechte und Freiheiten der Betroffenen
- Beinhaltet auch TOM als Teil der Abhilfemaßnahmen
Verhältnis:
Die DSFA bewertet Risiken und definiert erforderliche TOM als Schutzmaßnahmen. TOM sind also Teil der DSFA, aber auch unabhängig davon für jede Verarbeitung erforderlich.
F11: Benötige ich eine DSFA für KI und Machine Learning?
Antwort:
Häufig ja, da KI-Systeme oft mehrere DSFA-Kriterien erfüllen:
Typische Kriterien:
- ✓ Innovative Technologie (Kriterium 8 WP 248)
- ✓ Automatisierte Entscheidungen (Kriterium 2 WP 248)
- ✓ Profiling und Bewertung (Kriterium 1 WP 248)
- ✓ Umfangreiche Verarbeitung (Kriterium 5 WP 248)
- ✓ Potenziell sensible Daten (Kriterium 4 WP 248)
Besondere Risiken bei KI:
- Intransparente Entscheidungsfindung ("Black Box")
- Diskriminierungspotenzial durch Bias
- Weitreichende Auswirkungen auf Betroffene
- Schwer nachvollziehbare Algorithmen
Empfehlung:
Führe bei jedem KI-Projekt mit Personenbezug eine DSFA durch. Die Aufsichtsbehörden legen hier besonderen Fokus.
F12: Wie gehe ich mit Drittlandtransfers in der DSFA um?
Antwort:
Drittlandtransfers (Datenübermittlungen außerhalb der EU/EWR) stellen zusätzliche Risiken dar und sind in der DSFA zu berücksichtigen:
Zu bewertende Aspekte:
- Datenschutzniveau im Zielland
- Garantien (Standardvertragsklauseln, Binding Corporate Rules)
- Zugriffsmöglichkeiten von Behörden (z.B. USA: FISA 702, EO 12333)
- Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten für Betroffene
Integration in die DSFA:
- Beschreibung: Liste alle Drittlandtransfers auf
- Risikobewertung: Bewerte spezifische Risiken des Drittlands
- Abhilfemaßnahmen: Zusätzliche Schutzmaßnahmen (z.B. Verschlüsselung, zusätzliche vertragliche Garantien)
- Transfer Impact Assessment (TIA): Ggf. gesonderte Bewertung gemäß Schrems-II-Urteil
Tipp: Vermeide Drittlandtransfers wo möglich oder wähle Anbieter mit EU-Datenhaltung.
F13: Was ist bei Cloud-Diensten in der DSFA zu beachten?
Antwort:
Cloud-Dienste erfordern besondere Aufmerksamkeit in der DSFA:
Spezifische Risiken:
- Verlust der physischen Kontrolle über Daten
- Mehrmandantenfähigkeit (Multi-Tenancy)
- Internationale Datenflüsse
- Abhängigkeit vom Anbieter (Vendor Lock-in)
- Subunternehmer-Ketten
Zu prüfende Aspekte:
- Standort der Datenhaltung: EU/EWR oder Drittland?
- Zugriffsmöglichkeiten: Wer kann auf die Daten zugreifen?
- Verschlüsselung: Transport- und Speicherverschlüsselung?
- Zertifizierungen: ISO 27001, SOC 2, C5?
- Auftragsverarbeitungsvertrag (AVV): Vollständig nach Art. 28 DSGVO?
- Sub-Dienstleister: Wer wird eingesetzt? Wo?
- Datenlöschung: Sichere Löschung nach Vertragsende?
Empfehlung:
Fordere vom Cloud-Anbieter umfassende Dokumentation zu Sicherheitsmaßnahmen und beziehe diese in Ihre DSFA ein.
F14: Muss die DSFA von einem externen Datenschutzexperten erstellt werden?
Antwort:
Nein, es besteht keine Verpflichtung zur Beauftragung eines externen Experten.
Möglichkeiten:
- Interne Erstellung: Durch Datenschutzbeauftragten, IT-Abteilung, Rechtsabteilung
- Externe Unterstützung: Durch Datenschutzberater, Rechtsanwälte, spezialisierte Dienstleister
Empfehlung externe Unterstützung bei:
- Fehlendem internen Know-how
- Besonders komplexen Verarbeitungen
- Innovativen Technologien
- Rechtlicher Unsicherheit
Wichtig:
Auch bei externer Erstellung trägt der Verantwortliche die Verantwortung. Der Datenschutzbeauftragte (falls vorhanden) muss in jedem Fall konsultiert werden.
F15: Wie detailliert muss die Risikobewertung sein?
Antwort:
Die Detailtiefe sollte der Komplexität und dem Risikopotenzial der Verarbeitung angemessen sein.
Minimalanforderungen:
- Identifikation der relevanten Risiken
- Bewertung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere
- Nachvollziehbare Begründung der Bewertung
- Dokumentation der Bewertungsmethode
Abstufung nach Komplexität:
Einfache Verarbeitung:
- Qualitative Bewertung (gering/mittel/hoch)
- Kurze Begründungen
- Standardisierte Maßnahmen
Komplexe Verarbeitung:
- Quantitative oder semi-quantitative Bewertung
- Detaillierte Szenarioanalysen
- Risikomatrix mit mehreren Faktoren
- Spezifische Maßnahmenpläne
Empfehlung:
Nutze etablierte Methoden wie ISO 31000 (Risikomanagement) oder ISO/IEC 29134 (Privacy Impact Assessment) als Orientierung.
Empfohlene Vorlagen und Ressourcen
Offizielle Quellen:
- Leitlinien des EDSA:
- WP 248 rev.01: Leitlinien zur Datenschutz-Folgenabschätzung
- Abruf: https://edpb.europa.eu/
- Blacklist der DSK:
- Liste der Verarbeitungstätigkeiten für Deutschland
- Abruf: Websites der jeweiligen Landesdatenschutzbehörden
- ISO/IEC 29134:2017:
- International anerkannter Standard für Privacy Impact Assessments
- Kostenpflichtig über Beuth-Verlag oder ISO
Hinweis: Die im Text beschriebenen Vorgehensweisen und Kriterien sind ausreichend, um eine rechtskonforme DSFA zu erstellen. Vorlagen dienen lediglich der Strukturierung und ersetzen nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit der spezifischen Verarbeitung.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte auf einen Blick
Eine DSFA ist Pflicht, wenn:
- ✓ Die Verarbeitung auf der Blacklist der Aufsichtsbehörde steht
- ✓ Ein Regelbeispiel aus Art. 35 Abs. 3 DSGVO erfüllt ist
- ✓ Mindestens 2 der 9 WP-248-Kriterien zutreffen
- ✓ Die Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko zur Folge hat
Die DSFA muss enthalten:
- Systematische Beschreibung der Verarbeitung
- Bewertung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit
- Risikobewertung (Eintrittswahrscheinlichkeit + Schwere)
- Abhilfemaßnahmen und Restrisikobewertung
Wichtige Verfahrensschritte:
- Durchführung vor Beginn der Verarbeitung
- Konsultation des Datenschutzbeauftragten (falls vorhanden)
- Gegebenenfalls Anhörung der Betroffenen
- Bei hohem Restrisiko: Konsultation der Aufsichtsbehörde
- Regelmäßige Überprüfung (empfohlen: alle 2-3 Jahre)
Bei Verstoß drohen:
- Bußgelder bis zu 10 Millionen Euro oder 2% des Jahresumsatzes
- Anordnungen der Aufsichtsbehörde
- Reputationsschäden
- Schadensersatzansprüche
Best Practice:
- Im Zweifel DSFA durchführen (proaktiver Ansatz)
- Frühzeitig in Projektplanung einbeziehen (Privacy by Design)
- Sorgfältig dokumentieren (Rechenschaftspflicht)
- Regelmäßig aktualisieren